Polizeirecht

Die Polizei hat ihre Aufgabe im diffizilsten staatlichen Wirkungsbereich, dort wo Ethik sichtbar wird und Rechtsstaatlichkeit gemessen werden kann.

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Einsatz des Destabilisierungsgeräts

Verhältnismässigkeit als polizeiliches Zwangsmittel in der Schweiz

Pistole (links) und Taser (rechts) am Waffengurt

Von Myriam Enz, MLaw

Das Destabilisierungsgerät (DSG) wird in der Schweiz bereits seit 20 Jahren als polizeiliches Einsatzmittel verwendet. Bekannt ist das Elektroimpulsgerät in der Öffentlichkeit weitgehend unter seinem Herstellernamen «Taser». Beim DSG handelt es sich um eine Art «Elektro-Pistole», welche dazu gedacht ist, einen Täter mithilfe von Elektroimpulsen vorübergehend handlungsunfähig zu machen, ohne ihm hierbei bleibende Schäden zuzufügen.

Die Verwendung dieser Geräte als polizeiliches Einsatzmittel hat sich in den letzten Jahren im In- und Ausland etabliert. So werden diese in den Schweizer Polizeikorps immer häufiger als Einsatzmittel zur Verfügung gestellt und verwendet. Als schweizweit flächendeckendes Einsatzmittel konnte es sich bisher jedoch (noch) nicht durchsetzen.

Im November 2021 erlangte die Frage über die Notwendigkeit des DSG als Einsatzmittel in der Schweiz nach einem tödlichen Schusswaffeneinsatz in Morges (VD) erneut an Aktualität. Neben Zuspruch einerseits wird der Einsatz von DSG aber auch verschiedentlich kritisiert.

Die juristische Masterarbeit befasst sich mit ebendieser Debatte. Der Einsatz des DSG als polizeiliches Zwangsmittel in der Schweiz wird analysiert und es wird untersucht, wie er dem polizeirechtlich und verfassungsmässigen Legalitäts- und Verhältnismässigkeitsprinzip sowie der grundrechtlichen Doktrin von Art. 36 BV standhält.

Dabei zeigte sich, dass das DSG als verhältnismässiges Zwangsmittel im Rahmen der Gefahrenabwehr als Einsatzmittel in den Polizeikorps zugelassen werden sollte. Die momentane rechtliche Lage im kantonalen Polizeirecht stellte sich jedoch als kritisch, wenn nicht sogar als ungenügend, heraus: Die Anwendung von polizeilichem Zwang, insbesondere mit dem DSG ist in den Kantonen äusserst lückenhaft geregelt. In den meisten Polizeigesetzen wird das DSG trotz Gebrauch durch die Korpsangehörigen nicht explizit erwähnt.

In Anbetracht der bereits vorhandenen speziellen Regelungen auf Gesetzesstufe für einzelne Einsatzmittel, ist eine analoge Regelung für das DSG auf Gesetzesstufe wünschenswert und im Hinblick auf das Legalitätsprinzip auch notwendig.

Präventiver Gewaltschutz im Kantonalen Bedrohungsmanagement

Bild: Gewaltschutz Tirol

In den letzten Jahren haben sich auch in der Schweiz schwere Gewaltdelikte ereignet (Amoklauf im Zuger Kantonsparlament 2001; Tötungsdelikte in Pfäffikon 2011). Als Reaktion darauf haben einige Kantone ein Bedrohungsmanagement eingeführt. Damit sollen Personen mit erhöhter Gewaltbereitschaft erkannt, eingeschätzt und somit Übergriffe verhindert werden.


Die von der Juristischen Fakultät der Universität Basel im Februar 2019 angenommene Masterarbeit befasst sich mit den präventiven Gewaltschutzmassnahmen in den Kantonalen Bedrohungsmanagements (KMB). Dabei geht es namentlich um die Gefährderansprache, die Gefährdermeldung und die Gefährderdatenbank. Durch diese präventiven Gewaltschutzmassnahmen können Grundrechtpositionen von gefährdenden Personen tangiert werden. Die Arbeit konzentriert sich in einem ersten Teil auf Eingriffe in Grundrechte der persönlichen Freiheit, den Schutz der Privatsphäre, die Meinungsfreiheit und die verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien. In einem zweiten Teil wird die Legiferierung im Bereich des KBM und der darin enthaltenen präventiven Gewaltschutznormen der Kantone Zürich, Solothurn, Glarus, Basel-Landschaft, Luzern, Graubünden, Basel-Stadt und Thurgau analysiert und mit den aus dem ersten Teil gewonnenen grundrechtlichen Erkenntnissen verknüpft.


Der Überblick über die grundrechtliche Problematik bei präventiven Gewaltschutzmassnahmen und die Vorstellung verschiedener Regelungsansätze auf kantonaler Ebene zeigen ein uneinheitliches Bild. Die rechtlichen Grundlagen sind sehr unterschiedlich gewählt und reichen von expliziten Normen in kantonalen Polizeigesetzen bis hin zur polizeilichen Generalklausel. Die Normen selber sind meist offen gehalten und lassen wichtige Fragen unbeantwortet. Zugunsten der Rechtssicherheit wäre eine Konkretisierung und Vereinheitlichung der Materie wünschenswert.

Körperkameras im Polizeieinsatz

Bild: Toronto Star


Videoaufnahmen durch Körperkameras im Polizeidienst

Eine Zulässigkeitsprüfung unter Betrachtung der Grundrechte

Von Stéphanie Greuter, MLaw

Videoaufnahmen durch Körperkameras («body cams») gehören im Ausland teilweise bereits zur Realität des Polizeidienstes. In der Schweiz sind erste Versuche in Zürich und bei der Bahnpolizei erfolgt. Der Einsatz einer Körperkamera ist in mehrfacher Hinsicht speziell. Insbesondere finden Aufzeichnungen gezielt statt und können unter Umständen später auf den Einzelfall bezogen ausgewertet werden. Zudem werden neben den Daten Dritter immer auch in Bild- und Tonaufnahmen der Beamten selber gemacht.

Die vorliegende Untersuchung behandelt eine sehr aktuelle und nicht ganz einfache Thematik. Die Autorin legt ihrer Arbeit grundrechtliche und rechtsstaatliche Erfordernisse zugrunde und diskutiert gestützt darauf die aus juristischer Warte wesentlichen Punkte für den Einsatz von Körperkameras im Polizeidienst. Dabei bezieht sie die Gesetzgebung (aller Stufen und Bereiche), die Rechtsprechung sowie die Praxis im Alltag mit ein. Die beiden Versuche in Zürich und in den öffentlichen Verkehrsmitteln werden vertiefend behandelt.

Insgesamt findet ein spannendes «Navigieren» zwischen den beiden Zwecken der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung (Beweissicherung) statt. Die Autorin schält nachvollziehbare, belastbare juristische Leitlinien für den Gesetzgeber heraus. In absehbarer Zukunft werden primär die Kantone entsprechende Normen sowie die notwendigen Vorkehrungen zur Datensicherheit schaffen müssen, wenn sie das neue Mittel nutzen wollen.

Einführung in der Stadt Zürich

Am 13. April 2018 kündigte der Sicherheitsvorsteher der Stadt Zürich (Richard Wolff) an, dass er dem Stadtrat einen Antrag auf die definitive Einführung der Körperkameras bei der Stadtpolizei (Stapo ZH) vorlegen werde. Dies aufgrund der positiven Erfahrungen und Resultate des wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekts mit Körperkameras.

Falls der Antrag angenommen wird, bedarf es der sorgfältigen Ausarbeitung der gesetzlichen Grundlagen sowie Dienstanweisungen und eines praxisbezogenen Ausbildungskonzepts (dies wird voraussichtlich 1- 2 Jahre dauern). Der Stapo ZH käme bei einer definitiven Einführung der Körperkameras in den regulären Dienst eine gesamtschweizerische Vorreiterrolle zu.

Es wird daher interessant sein zu beobachten, welche gesetzgeberischen und praxisbezogenen Problemfelder sich ergeben und wie diese gelöst werden. Dies kann sich als wegweisend zeigen in Bezug auf die mögliche zukünftige Einführung von Körperkameras in anderen Polizeikorps der Schweiz.

Kosten von Polizeieinsätzen

(von Reto Müller)

Besetzung eines Hünerstalls

Mitte Mai 2021 wurde in Eptingen/BL ein (offenbar recht grosser) Hünerstall von 35 Tierschützer*innen besetzt. Im Nachgang stellte sich die Frage, ob diese für den Polizeieinsatz Kostenersatz leisten müssen.

Grundversorgung

Die Gewährleistung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit ist die zentrale Aufgabe der Polizei. Sie übt nicht nur das Gewaltmonopol aus (ein Dürfen), es trifft sie auch die Pflicht zum Einschreiten (ein Müssen). Diese staatliche Kernaufgabe wird mit allgemeinen Mitteln des Gemeinwesens finanziert (unter anderem dafür zahlt man voraussetzungslos geschuldete Steuern). § 55 Absatz 1 PolG-BL statuiert den Grundsatz der Unentgeltlichkeit für Einsätze der Polizei Basel-Landschaft im Bereich der «Grundversorgung».

§ 55 - Kostenersatz

1 Die Einsätze der Polizei Basel-Landschaft sind grundsätzlich unentgeltlich.

2 Kostenersatz für Einsätze der Polizei Basel-Landschaft kann verlangt werden, wenn dieses oder ein anderes Gesetz es ausdrücklich vorsehen. *

3 Kostenersatz wird verlangt: *

a. von der Veranstalterin oder dem Veranstalter gemäss § 55a;

b. vom Verursacher oder von der Verursacherin ausserordentlicher Aufwendungen, die bei einem anderen Polizeieinsatz entstehen, namentlich wenn er vorsätzlich oder grobfahrlässig verursacht worden ist oder wenn er in überwiegend privatem Interesse erfolgt ist;

c. bei durchgeführtem Polizeigewahrsam gemäss § 55c;

d. bei einem Polizeieinsatz aufgrund eines Fehlalarms einer privaten Alarmanlage.

Kostenüberwälzung

Die ausnahmsweise Überwälzung von Polizeikosten auf Dritte hat verschiedene Facetten.

Beim Rückgriff auf Veranstalterinnen und Veranstalter ist eine Kostenbeteiligung gerechtfertigt, da ein Polizeieinsatz insbesondere auch im Interesse dieser Privaten liegt. Wenn sowohl öffentliche als auch private Interessen involviert sind, sind Herabsetzungen geboten (so etwa im Kanton Zürich). § 55a PolG-BL schränkt die Kostentragung durch Veranstalter richtigerweise auf solche Kosten ein, welche die «normale polizeiliche Grundversorgung überschreiten».

Bei einem Rückgriff auf Verursacherinnen oder Verursacher von Polizeieinsätzen (§ 55 Abs. 3 Bst. b PolG-BL) geht es (ebenfalls) um spezielle Sachlagen. Auf Seiten der Polizei müssen die Aufwendungen ausserordentlich sein. Auf Seiten der Verursachenden müssen ein bewusstes Handeln (Vorsatz) oder eine schwere Pflichtverletzung (Grobfahrlässigkeit) vorliegen. Zudem ist eine Kostenüberwälzung möglich, wenn die Polizei in überwiegend privatem Interesse handelt (was sie eigentlich nicht tun sollte; vgl. auch § 3 Abs. 3 PolG-BL).

Die Gebühren für durchgeführten Polizeigewahrsam (§ 55 Abs. 3 Bst. c in Verbindung mit § 55c PolG-BL) haben meines Erachtens den Charakter einer versteckten Verwaltungsstrafe.

Kostenüberwälzung

Die Besetzung des Hünerstalls in Eptingen hat eine politische (Tierschutz), eine grundrechtliche (Versammlung von rund 35 Personen mit Appellwirkung) und eine strafrechtliche (vermutlich Hausfriedensbruch) Dimension.

Der Polizeieinsatz an sich wird grundsätzlich in die «Grundversorgung» gefallen sein. Die Kosten dafür dürfen den Tierschutzaktivist*innen nicht verrechnet werden. Es ist aber denkbar, dass weitere Aufwendungen angefallen sind. Etwa, falls Tiere freigelassen worden sind und diese von der Polizei haben eingefangen werden müssen. Oder weil die Polizei einen Schlüsseldienst hat aufbieten müssen, um die Ketten der Aktivist*innen zu lösen. Vielleicht hat es im Anschluss auch einer grösseren Aufräumaktion bedurft. Solche Kosten sind ausserordentlich und können auf der Basis des PolG-BL weitergegeben werden (ganz ähnlich wie Ersatzvornahmen). Die Ursache für diese Kosten wären dann von den Aktivist*innen gesetzt worden – es dürfte sogar Vorsatz vorliegen. Die Verrechnung solcher Kosten muss aber rechtsgleich – nach den immer gleichen Massstäben, insbesondere unabhängig von der Gesinnung der Verursachenden – erfolgen. Die Kostenverrechnung darf auch keinen Strafcharakter haben. Die strafrechtliche Beurteilung erfolgt gestützt auf das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung.

Rechtsstaat oder Polizeistaat?

Entschuldigung, das sind Polizeistaatmethoden

Der Fall des Whistleblowers Adam Quadroni im Engadin hat seit 2016 in vielen Medien Schlagzeilen bewirkt. Er - mit seinen beiden Töchtern - wurde Opfer eines multiplen behördlichen Versagens, willkürlicher Entscheide, mehrfacher rechtswidriger Grundrechtsbeschränkungen und -entzüge, erniedrigender Behandlung.

Der Regierunsgrat hat auf öffentlichen Druck eine Adminsitrativuntersuchung in Auftrag gegeben, das Parlament hat - erstmals in Graubünden - eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) gebildet, die beide gesamthaft zu den gleichen Befunden gekommen sind: mehrfache schwerwiegende Rechtsvertösse durch die Kantonspolizei wie auch andere Behörden.

In einem Interview wurden kurz nach Veröffentlichung des 2. PUK-Berichtes die festgestellten Fehler innerhalb der Kaotnapolizei Graubunden, v.a auf der Führunsgebene, diskutiert.

Rezension

Die Polizei: Aufgaben, rechtsstaatliche Grenzen und Haftung

Rezension, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht (7/2020)

Josianne Magnin, Dr. iur.: Die Polizei: Aufgaben, rechtsstaatliche Grenzen und Haftung. Diss. Luzern 2016. Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft, Bd. 116. LXI + 471 Seiten. Preis CHF 89.–. Schulthess Juristische Medien AG, Zürich/Basel/Genf 2017. ISBN 978-3-7255-7683-8.

Das Werk ist dem Untertitel folgend in drei Teile gegliedert: Begriff der Polizei, polizeiliche Aufgaben und Massnahmen (176 Seiten), rechtsstaatliche Grenzen sicherheitspolizeilicher Tätigkeit (96 Seiten) und Staatshaftung für sicherheitspolizeiliche Realakte (180 Seiten). Der dritte Teil gab den Anstoss zu dieser Dissertation; erkennbar legt die Autorin einen besonderen Fokus darauf. Das Werk wird inhaltlich mit einer siebenseitigen Zusammenfassung und Schlussbetrachtung, formell mit einem dreiseitigen Sachregister abgerundet.

Josianne Magnin zeigt, dass das Sicherheits- und Polizeirecht von einer Kombination aus begrifflicher Vielfalt und Unschärfe geprägt ist. Für die Polizei postuliert sie eine Reduk- tion auf den institutionellen Polizeibegriff: Dieser umfasst jene Dienststellen, denen«primär die Aufgabe der Gefahrenabwehr obliegt und die hierfür organisationsrechtlich als Polizeibehörden ausgesondert sind» (S. 10). Die weiteren Polizeibegriffe sind«mehrdeutig und zumeist konturlos» (S. 31); eine genauere Aufgabenumschreibung könnte Abhilfe schaffen.

Als einzelne sicherheitspolizeiliche Standard­ massnahmen auf kantonaler Ebene werden Anhaltung, Identitätsfeststellung und Fest- nahme (S. 136 ff.), erkennungsdienstliche Massnahmen (S. 138 f.), Vorladung und Vorführung (S. 139 f.), Wegweisung und Fernhaltung (S. 140 ff.), Gewahrsam (S. 143 ff.),Durchsuchung (S. 145 ff.), Sicherstellung (S. 147 ff.) sowie Datenbearbeitung und Überwachung (S. 148 ff.) dargestellt. Der«polizeiliche Zwang der kantonalen Polizeikorps» wird richtigerweise separat behan- delt (S. 160 ff.). Auch mit Destabilisie- rungsgeräten wird «in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen. Da der Eingriff aber regelmässig leichter sein dürfte als beim Schusswaffengebrauch, ist der Einsatz von Tasern unter Beachtung der Regelungen zu den Schusswaffen zulässig und mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip gar zu fordern, wenn er als milderes Mittel erscheint» (S. 164). Offen bleibt, ob Taser auch unabhängig von der (restriktiven) Zulässigkeit von Schusswaffen eingesetzt werden dürften.

Im Polizeirecht können die Anforderungendes Legalitätsprinzips an eine stufengerechte und genügend dichte Normierung dem Bedürfnis nach Handlungs- und Entschei- dungsspielräumen entgegenstehen. Die Autorin zeigt sich offen für die Normierun- gen sicherheitspolizeilicher Bestimmungen auf Verordnungsstufe, solange sachliche Gründe vorliegen und dies «zu keinen schwerwiegenden Beschränkungen für die Bürger» führt (S. 193). Dies wird anhand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Wegweisungsartikeln diskutiert. Die Gründe für höhere Anforderungen an die Normdichte bleiben abstrakt. Dafür wird auf drei «Bestimmtheitssurrogate» hingewiesen, nämlich Verfassungsgrundsätze, ein ausgebautes Rechtsschutz- und Rechts- mittelsystem sowie Kontrollmassnahmen (S. 201).

Bei den Voraussetzungen der polizeilichen Generalklausel (S. 205 ff.) folgt die Autorin den neuen Kriterien des Bundesgerichts und will zumindest bei Schutzpflichten auf das Kriterium der Unvorhersehbarkeit einer Gefahrenlage verzichten (S. 208). Es müsse aber abgewartet werden, ob das Bundesge- richt seine Praxis dazu «weiter präzisiert, modifiziert oder tatsächlich ändert»; jedenfalls soll der Rückgriff auf die Polizeigene- ralklausel auf «absolute Notfälle» beschränkt bleiben (S. 209). Davon zu unterscheiden ist die kleine Generalklausel in den kantonalen Polizeigesetzen; die Autorin lässt sie als«Grundlage für Massnahmen […], welche zu keinen schweren Beeinträchtigungen der Rechte Privater führen» auch ungeschrieben gelten (S. 211 f.).

Dem Opportunitätsprinzip sind im Polizeirecht sowohl durch die gesetzlichen Auf- träge und die Gefahrenabwehr gestützt auf die Polizeigeneralklausel als auch durch all- fällige Schutzpflichten Schranken gesetzt (S. 228 ff.). Die mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip verbundenen Wertungen sollten «direkt durch die Legislative vorgenommen» werden (S. 231).

Die Grundrechte bilden «für sämtliche sicherheitspolizeiliche Tätigkeit die immer sichtbare Leitlinie» (S. 267). Nach einer Ein- leitung zu grundrechtlichen Abwehr- und Schutzansprüchen werden einzelne Grund- rechte jeweils kurz mit ihren Schutzberei- chen umschrieben und für die sicherheits- rechtliche Praxis mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Men- schenrechte (EGMR) konkretisiert. Beim Rechtsschutz gegen sicherheitspolizeiliche Realakte bestehen Lücken in der kantonalen Gesetzgebung (S. 272). Hinzu tritt die die Problematik, «[…] dass gegen unterschiedliche sicherheitspolizeiliche Massnahmen im gleichen Kanton teilweise unterschiedliche Rechtswege vorgesehen sind» (S. 274). DieAutorin tritt für eine Vereinheitlichung der Rechtsmittel ein.Der dritte Teil der Arbeit geht ausführlichund auf erfrischende Art auf die Staatshaftung ein. «Aufgrund der unterschiedlichen anwendbaren Haftungsgrundlagen, den verschiedenen sicherheitspolizeilichen Akteuren auf mehreren föderativen Ebenen und deren vielgestaltigen Positionen präsentiert sich das Haftungssystem für sicher- heitspolizeiliche Realakte auf den ersten Blick als sehr kompliziert» (S. 302). So können die zivilrechtlichen Kausalhaftungen für die Polizei als Eigentümerin von Diensthunden (Tierhalterhaftung, Art. 56 OR), als Eigentümerin eines Polizeipostens (Grund- eigentümerhaftung, Art. 679 Abs. 1 ZGB) oder bei der Errichtung von Absperrungen oder Barrikaden (Werkeigentümerhaftung, Art. 58 OR) infrage kommen. Gefährdungshaftungen können im Strassenverkehr (Motorfahrzeughalterhaftung) oder im Luftver- kehr (Haftung nach dem Luftfahrtgesetz) greifen; hingegen richtet sich die Haftung der Polizei bei Schäden aus dem Betrieb von Schiffen nach dem jeweiligen Verantwort- lichkeitsgesetz (S. 341 f.). Gesondert behan- delt werden die Gefährdungshaftung für besonders gefährliche militärische Tätigkeiten und eine Kausalhaftung für andere dienstliche Tätigkeiten der Armee (S. 352 ff.). Spannend sind die Überlegungen zur Haftung bei der Verwendung von Feuerwaffen: Die Autorin spricht sich für eine An- wendung des Sprengstoffgesetzes (SprstG; SR 941.41) aus. Dazu dehnt sie den Begriff des Betriebs gemäss SprstG auf die jeweili- gen Sicherheitsbehörden aus. Die Haftungs- norm von Art. 27 Abs. 1 SprstG würde auch Schiesspulver – und damit den Einsatz von Feuerwaffen – erfassen (S. 347 f.). Offen bleibt, welche Bedeutung Art. 1 Abs. 3 SprstG dann noch hätte («Schiesspulver, das als Treibladung für Munition von Feuerwaffen verwendet wird, unterliegt den Bestimmungen der Waffengesetzgebung»).

Die kantonalen Polizeigesetze enthalten meist keine Haftungsbestimmungen (S. 376). Daher erstellt die Autorin einen Überblick über die Haftungsgrundlagen des kantonalen öffentlichen Rechts und geht auf die jeweiligen Besonderheiten ein (363 ff.). Weil der Begriff des hoheitlichen Handelns «keineswegs eindeutig» ist (S. 384), plädiert sie dafür, zur Abgrenzung zwischen öffentlichem und Privatrecht auf eine amtliche Tätigkeit abzustellen; damit wäre die Funk- tionstheorie für Haftungsfragen «wohl massgebend» (S. 385).

Die Autorin lehnt ein Abstellen auf die objektive Widerrechtlichkeitstheorie für das öffentliche Haftungsrecht ab. Zudem erweise sich «das zweistufige Verfahren, zuerst eine Schädigung per se als widerrechtlich zu betrachten und anschliessend mittels Prüfung von Rechtfertigungsgründen nach Auswe- gen zu suchen, als unbefriedigend. Generell hat die Annäherung an die privatrechtliche Konzeption mit der Unterscheidung in Erfolgs- und Verhaltensunrecht für die staats- haftungsrechtliche Gerichtspraxis in erster Linie Schwierigkeiten mit sich gebracht» (S. 402).

Dem Legalitätsprinzip folgend ist im öffentlichen Recht das Handlungsunrecht in den Vordergrund zu stellen. «Im Schadenfall kann das Verhalten des Staates demnach anhand einer konkreten Bestimmung überprüft werden, wobei das Verhältnismässig- keitsprinzip im Vordergrund stehen dürfte, oder aber – bei keiner oder nicht ausreichender Regelung – der Geschädigte sich auf eine Verletzung des Gesetzmässigkeitsprin- zips berufen [wird]» (S. 403). Dies wird im Anschluss vertieft – teilweise auch relativiert. Zentrales Element bei Handlungen des Staates sind Normverstösse: «In Frage kom- men primär ausdrückliche, geschriebene Normen, die kleine sowie Polizeiliche Generalklausel und die Grundrechte» (S. 411). Bei Unterlassungen haftet der Staat, wenn er eine Garantenstellung hat, um Gefahren für polizeiliche Schutzgüter abzuwehren (S. 417). Eine über grundrechtliche Schutz- pflichten begründete Haftung wird nur zu- rückhaltend bejaht, «[…] wenn eine schwere Verletzung fundamentaler Rechtsgüter droht, die vergleichbar oder gar höher zu gewichten sind als die diejenigen, welche durch Schutzmassnahmen verletzt würden» (S. 421).

Polizeirechtliche Arbeiten sind stets von Abgrenzungen auf mehreren Ebenen geprägt. Die Herausforderung besteht in einer begrifflichen, zuweilen auch dogmatischen, föderalistischen und natürlich im engeren Sinne inhaltlichen Fokussierung. Eine vertiefte Behandlung von polizeilichen Dienst- und Einsatzbefehlen aus verwaltungsrechtlicher Sicht hätte die vorliegende Arbeit sinnvoll ergänzt. Das Werk richtet sich aber längst nicht bloss an eine polizeirechtlich affine, sondern insbesondere auch an eine am Staatshaftungsrecht interessierte Leserschaft. Das als beste Dissertation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern (2017) und mit dem Professor Wal- ther Hug Preis (2018) ausgezeichnete Werk ist gut verständlich geschrieben und doku- mentiert. Im Stichwortverzeichnis empfiehlt es sich teilweise, die Zielseiten um eine Seite aufzurechnen.

Dr. iur. Reto Müller, Lehrbeauftragter für öffentliches Recht an der Universität Basel und an der ETH Zürich

Polizeiberuf und Polizeirecht im Rechtsstaat

Der Polizeiberuf fasziniert. Anders sind die unzähligen Kriminalromane und -filme nicht zu erklären. Doch was hinter der realen Polizeiarbeit steht, ist weitgehend unbekannt. Fast alles polizeiliche Verhalten, ob Handeln oder Nichthandeln, muss eine rechtliche Grundlage haben. Diese nennt man zusammengefasst auch Polizeirecht.

Doch was ist Polizeirecht? Es besteht aus einer Vielzahl von völkerrechtlichen Abkommen, den Verfassungen von Bund und Kantonen, mehreren Bundesgesetzen sowie den kantonalen Polizeigesetzen. Zusammengefasst bilden sie die Rechtsgrundlage dessen, was die Polizei muss, darf und nicht darf. Das alles in der täglichen Praxis richtig umzusetzen, stellt sehr hohe Anforderungen. Denn immer geht es auch um den Schutz von Grundrechten und die Beachtung der Rechtsstaatlichkeit. Und diese stehen im Zentrum der Darstellung.

Dieses Buch verschafft einen Überblick und zeigt Zusammenhänge auch für nicht juristisch ausgebildete Interessierte und Studierende auf.

Das Buch mit rund 240 Seiten (einschliesslich Verzeichnisse) kostet CHF 53.

Körperkameras bei der Polizei – Anforderungen an die Rechtsgrundlagen

Nachdem die Kantone Tessin (2011) und Neuenburg (2014) die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz von Körperkameras bereits geschaffen haben, und die Stadt Zürich nach einem Pilotversuch 2017 Körperkameras für die Stadtpolizei definitiv einzuführen plant, wird deren Einführung auch in andern Kantonen vorgesehen oder doch diskutiert.

Soll der Einsatz von körpernahen Kameras neben dem einen Ziel der Gewaltverminderung auch auch dem Zweck der Beweissicherung dienen, sind dafür genaue gesetzliche Bestimmungen unerlässlich. Den Grundrechten (persönliche Freiheit, Privatsphäre, Versammlungsfreiheit) des Publikums auf der einen Seite, aber auch dem Grundrecht, sich als Polizeiangehörige nicht selber belasten zu müssen auf der andern Seite, ist Rechnung zu tragen. Die gerichtliche Verwertbarkeit der Aufnahmen als Beweise stellt hohe Anforderungen an die Einsatzregelung und an die Datensicherheit.

Sollen die Körperkameras auch bei interkantonalen Polizeieinsätzen, die meist wegen anznehmenden Auseinandersetzungen gewaltbereiter Gruppen nötig werden, als Beweismittel verwendet werden können, erscheinen harmonisierte Vorschriften wie auch die koordinierte Wahl der Modelle, die mit diesen Vorschriften übereinstimmen, unerlässlich.

 

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Rezension


Militärisches Einsatzrecht – Ein Handbuch zum Recht der Schweizer Armee in Unterstützungseinsätzen, insbesondere zu den militärischen Polizeibefugnissen

Gianfranco Albertini/Thomas Armburster/Beat Spörri, Zürich 2016, XLIV, 359 Seiten, CHF 89.-

Mit Gianfranco Albertini, Thomas Armbruster und Beat Spörri haben sich drei Juristen als Autoren zusammengefunden, welche mit ihren Milizfunktionen in der Armee sowie mit ihren beruflichen Tätigkeiten in hohem Masse militärische mit polizeirechtlicher Kompetenz verbinden.

Die Bedeutung der Armee als «Sicherheitsdienstleisterin» zugunsten der zivilen Behörden hat mit der Schaffung des Assistenzdienstes als eigenständige Dienstart im Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung vom 3. Februar 1995 (MG, SR 510.10) stark zugenommen. Dem verfassungsrechtlich für Einsätze im Inneren bloss als ultima ratio vorgesehenen sicherheitspolitischen Instrument fällt inzwischen weit mehr als die Rolle einer strategischen Reserve in der Hand des Bundes zu. Mit der «Weiterentwicklung der Armee» wird der bereits mit der «Armee XII» und dem «Entwicklungsschritt 08/11» akzentuierte Transformationsprozess fortgeführt.

Die juristische Literatur hat sich bereits intensiv und oft kritisch mit der sich wandelnden Auftragswahrnehmung der Armee auseinandergesetzt. Dabei standen insbesondere Fragen nach dem Verteidigungsbegriff, nach der Bedeutung des übergeordneten Kriteriums der Subsidiarität bei Einsätzen im Inneren sowie Rechtsfragen rund um die (vom Chef der Armee inzwischen begrifflich abgeschaffte) «Raumsicherung» im Fokus. Das vorliegende Werk knüpft an die bekannten Diskussionen an, indem es sich mit den rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen für Armeeinsätze generell auseinandersetzt. Bezüglich das militärische Einsatzrecht im engeren Sinn geht es aber zwei Schritte weiter, indem insbesondere die (einsatzrelevante) Verordnungsebene systematisch dargestellt wird und indem die militärischen und polizeilichen Rahmenbedingungen und Taktiken kritisch miteinander verglichen werden.

Konkret befasst sich das «Handbuch zum Recht der Schweizer Armee in Unterstützungseinsätzen, insbesondere zu militärischen Polizeibefugnissen» (so der Untertitel) in einem Teil A. sowohl mit den militär- als auch den polizeirechtlichen Grundlagen der Themata. Im Teil B. über militärische Befugnisse bildet die juristische Auseinandersetzung mit dem Militärgesetz sowie mit dem nachgelagerten Verordnungsrecht, insbesondere mit der Verordnung über die Polizeibefugnisse der Armee vom 26. Oktober 1994 (VPA, SR 510.32) das Schwergewicht. Recht und Taktik rundet die Darstellung formell als Teil C., inhaltlich als Synthese ab.

Das XLIV und 359 Textseiten mit 1244 Fussnoten umfassende Werk wird von einem Stichwortverzeichnis ergänzt. Bereits daraus lässt sich auf die Aktualität des Inhalts schliessen: So finden sich unter «A» zehn Verweise für die «Anhaltung» und unter «Z» deren drei für den neuen (unter rechtlichen Aspekten überaus heiklen) taktischen Begriff der militärischen «Zernierung».

Zur vollständigen, im Sicherheit & Recht (2016/2, S. XXX ff.) erschienenen Rezension siehe nachfolgende Datei.

Regionaljournal Basel: Markus Mohler zur Sicherheit in Fussballstadien

Im Wochengespräch vom 17. April 2015 äusserte sich Markus Mohler zur Sicherheit in Fussballstadien und wie Verbesserungen an die Hand genommen werden könnten.

Polizeiliche Ausgleichsmassnahmen unter Schengen-Recht verfassungskonform?

Mehrere polizeirechtliche Bestimmungen des neuen Zollgesetzes sowie deren Umsetzung, insbesondere die Verträge zwischen der Oberzolldirektion und einzelnen Kantonen, haben keine hinreichende verfassungsrechtliche Grundlage.

Rainer J. Schweizer und Markus Mohler haben die Probleme im Band Breitenmoser/Gless/Lagodny (Hrsg.) Schengen in der Praxis, Zürich/St. Gallen 2009, dargestellt. Dieses Buch ist derzeit vergriffen, weshalb der Beitrag hier wieder zugänglich gemacht wird.

Sicherheitsbezogene Zutrittskontrollen zu Stadien

Bund, Kantone, Städte, Sportverbände und Klubs erwägen beim Suchen nach Möglichkeiten, das Abfeuern von Feuerwerk in Stadien zu verhindern, (alle) Zuschauer nach dem Betreten des Stadions einer Kleiderdurchsuchung bis auf die Unterwäsche zu unterziehen und diese Aufgabe privaten Sicherheitsdiensten zu übertragen. Trotz verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Schutzpflichten der Polizei und verbandsrechtlichen Sicherheitsaufgaben
der Veranstalter erweist sich ein solches Vorgehen ohne Anfangsverdacht als grundrechtswidrig. Auch das Zivilrecht liefert dafür keine Grundlage.

Sportorganisationen dem Korruptionsstrafrecht unterstellen

Die bekannt gewordenen Wirren innerhalb der FIFA mit den schweren Korruptionsvorwürfen, teilweise durch "journalistische sting operations" belegt, machen u.a. deutlich, dass die Schweiz das Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarates bisher nicht vollständig umsetzt. (Internationale) Sportorgansationen fallen daher nicht unter die einschlägige Strafbestimmung von Art. 4a UWG, wie aus der damaligen Botschaft des Bundesrates (BBL 2004 6983) klar hervorgeht. Das ist änderungsbedürftig.

Ethik und Polizei

Die Polizei, die ihre Aufgabe im diffizilsten staatlichen Wirkungsbereich der ausgeprägten Grundrechtsbeeinträchtigung hat, bedarf angesichts der für den einzelnen Polizisten unbewältigbaren Flut der gesetzlichen Anforderungen einer besonders ausgeprägten Ethik, welche die Rechtsstaatlichkeit ins Zentrum des polizeilichen Handelns stellt. Dieser polizeilichen Ethik nimmt sich Markus Mohler in den beiden folgenden Aufsätzen an. Erschienen sind sie in: Janos Fehérvary, Wolfgang Stangl (Hrsg.), Menschenrecht und Staatsgewalt, Wien 2000 bzw. in: Die Polizei, 5/1994, S. 144-148.

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